Deep View – Decent and Productive Virtual Work

Welchen Stellenwert hat virtuelle Arbeit im Sozialen Dialog?

Das Konzept der virtuellen Arbeit meint mobiles Arbeiten unter Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien. Dadurch wird es ArbeitnehmerInnen ermöglicht, von „jedem Ort zu jeder Zeit“ aus für den Arbeitgeber tätig zu sein. Im Projekt Deep View stehen Herausforderungen mit dieser an Bedeutung gewinnenden Arbeitsform sowie Möglichkeiten ihrer kollektiven Regulierung im Zentrum. Deep View untersucht die Rolle des sozialen Dialogs und von Kollektivverträgen, die vielfältigen Auswirkungen virtueller Arbeit auf die Arbeitsbedingungen zu berücksichtigen und mitzugestalten. Deep View wird gute Praktiken des sozialen Dialogs auf Unternehmensebene identifizieren, die menschenwürdige und produktive virtuelle Arbeit fördern, und deren Umsetzung, Ergebnisse und Potenziale untersuchen.

Deep View befasst sich mit virtueller Arbeit in fünf Ländern (Österreich, Dänemark, Estland, Portugal und Spanien) mit unterschiedlichen Systemen industrieller Beziehungen. Virtuelle Arbeit wird dabei in drei Sektoren, in denen virtuelle Arbeit am häufigsten eingesetzt wird (Finanzdienstleistungen und IT-Dienstleistungen) oder in letzter Zeit stark an Bedeutung gewonnen hat (häusliche Pflege), untersucht.

Wie weit verbreitet ist virtuelle Arbeit?

Der Begriff Virtuelle Arbeit scheint relativ beliebig verwendet zu werden. Je nach Arbeitsort, Intensität der IKT-Nutzung, Zeitverteilung zwischen Büro und Wohnort oder anderen Arbeitsorten, den Tätigkeiten und/oder dem Beschäftigungsstatus des/der virtuellen Arbeitnehmers/in liegen unterschiedliche Definitionen zugrunde. Um ein vergleichendes Bild von der Häufigkeit virtueller Arbeit zu erhalten, verwendet Deep View den Begriff IKT-basierte mobile Arbeit, der auch von Eurofound und ILO gebraucht wird. Er bezieht sich auf Arbeitsvereinbarungen, in denen ArbeitnehmerInnen IKT – wie Smartphones, Tablets, Laptops und PCs – für Arbeitszwecke außerhalb der Betriebsstätte des Arbeitgebers nutzen. Nach dieser Definition ist IKT-gestütztes mobiles Arbeiten in Dänemark unter den fünf betrachteten Ländern am weitesten verbreitet (38%), gefolgt von Estland (25%), Österreich (20%) und Spanien (17%). Portugal (11%) weist den geringsten Anteil dieser Arbeitsform auf.

Was wissen wir über die Auswirkungen der virtuellen Arbeit auf Arbeitsbedingungen? 

Die Auswirkungen der Digitalisierung auf Arbeitsmärkte sind ein heiß und kontrovers diskutiertes Thema. Insbesondere werden massive Auswirkungen auf das Beschäftigungsniveau und die Veränderung des Qualifikationsbedarfs vorausgesagt. Virtuelle Arbeit und ihre Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen rücken jedoch eher selten ins Zentrum der Forschungsaufmerksamkeit. Viele Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Arbeitsarrangements mit virtueller Arbeit zu verschwimmenden Grenzen zwischen Freizeit und Erwerbsarbeit sowie zu einer Überlappung der beiden Sphären führen können, mit positiven und negativen Auswirkungen auf die Work-Life-Balance. Die Erreichbarkeit über IKT erzeugt Erwartungen an die „ständige Verfügbarkeit“ für Arbeitszwecke, auch zu Zeiten, wo keine Arbeitsbereitschaft zu erwarten wäre.

Darüber hinaus verweisen Studien über virtuelle Arbeit auf Gesundheits- und Sicherheitsrisiken und sich verändernde Arbeitszufriedenheit. Belegt ist, dass der Einsatz mobiler IKT-Geräte bei der Arbeit körperliche Probleme und psychosoziale Risiken wie Isolation, arbeitsbedingten Stress und Erschöpfung nach sich ziehen. Wenig ist noch über die Auswirkungen virtueller Arbeit auf Einkommen, Ausbildung und Berufsaussichten bekannt.

Branchenspezifika und virtuelle Arbeit

Die Auswirkungen virtueller Arbeit auf die Arbeitsbedingungen in den drei Sektoren (Finanz- und IT-Dienstleistungen sowie häusliche Pflege) fanden bislang eher wenig Aufmerksamkeit in der Forschung. Meistens beziehen sich Forschungsarbeiten stärker auf einen allgemeinen Trend hin zur Digitalisierung. Während virtuellen Arbeitsarrangements in wissensintensiven Dienstleistungen wie dem Finanz- und dem IKT-Sektor größeres Forschungsinteresse entgegengebracht wurde, gibt es wenig Erkenntnisse über virtuelle Arbeit in der häuslichen Pflege. Möglicherweise ist dieses Manko auf die erst kürzlich erfolgte Einführung von IKT in diesem Bereich und die nicht offensichtlichen Auswirkungen auf die Kernaufgaben der Tätigkeiten zurückzuführen, aber auch auf die traditionelle Unsichtbarkeit der Pflegearbeit.

Virtuelle Arbeit und sozialer Dialog

Die Regulierung von Telearbeit wurde bereits im Jahr 2002 mit dem Abschluss einer Rahmenvereinbarung durch die europäischen Sozialpartner erreicht. Die Rolle des sozialen Dialogs und der Kollektivverträge für die Regelung virtueller Arbeit stellt sich indes in unseren Branchen- und Ländersample sehr unterschiedlich dar. Zunächst findet sich die umfangreichste Regulierung von Beschäftigungsverhältnissen mit virtueller Arbeit in den Bereichen Finanzdienstleistungen und IT-Dienstleistungen. Der Bezugspunkt dafür ist Telearbeit. Allerdings enthalten nur in Österreich und Dänemark (nationale bzw. sektorale) Kollektivverträge Bestimmungen zur Umsetzung von Telearbeitsvereinbarungen auf Unternehmensebene. In beiden Ländern gibt es eine lange Tradition von Aushandlungen dieser Fragen. In Österreich, wo die Sozialpartner die Bestimmungen des EU-Abkommens weitgehend und branchenweit umgesetzt haben, bietet der Kollektivertrag in der IT-Branche die umfassendste Regelung. In Estland haben die Sozialpartner kürzlich (2018) eine unverbindliche sektorübergreifende Vereinbarung über Telearbeit im privaten und öffentlichen Sektor beschlossen, deren tatsächliche Umsetzung auf Unternehmensebene jedoch schwer zu einzuschätzen ist. Sektorale Kollektivverträge gibt es weder im Finanz- noch im IKT-Sektor. In Portugal und Spanien finden sich spezifische Rechtsvorschriften für die Einführung von Telearbeit oder so genannte „Fernarbeits“-vereinbarungen. Sektorale Kollektivverträge haben hingegen für die Regulierung virtueller Arbeit kaum Bedeutung.

Die Regelung virtueller Arbeit im Bereich der häuslichen Pflege ist bisher eher schwach ausgeprägt. Die Erbringung von Betreuungsleistungen unmittelbar am Kunden/ an der Kundin schließt die Möglichkeit der Telearbeit aus. Dennoch nimmt der Einsatz digitaler Geräte in der mobilen Betreuung zu. Eine weitere branchenspezifische Innovation ist die Einführung von Telecare-Technologien. Beide Entwicklungen wirken sich auf die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte aus und erfordern neue Formen der kollektiven Regulierung.

Konsortium

Das DEEP VIEW Konsortium umfasst sieben Forschungszentren aus fünf europäischen Ländern, Spanien, Österreich, Dänemark, Estland und Portugal. Das Deep View Kernteam besteht aus ExpertInnen hochrangiger Forschungszentren, die sich auf Analysen der Arbeitswelt spezialisiert haben: notus-asr (Spanien, Projektleiter), FORBA (Österreich), FAOS (Dänemark), Praxis (Estland) und die Fakultät für Sozial- und Geisteswissenschaften der NOVA Universität (Portugal). Darüber hinaus arbeitet DEEP VIEW mit zwei Partnerorganisationen zusammen: CareNet der Open University of Catalonia und die Stiftung 1. Mai.

Den DEEP VIEW Newsletter Nr. 1 als PDF zum Download finden Sie hier.

Projektverlauf

DEEP VIEW begann im Februar 2018 und endet im Januar 2020. Ein Kernelement des Projekts ist die Durchführung von drei Fallstudien pro Land, um auf Unternehmensebene innovative und gute Praxen des sozialen Dialogs zu virtueller Arbeit zu analysieren. Alle Ergebnisse sind auf der Projektwebseite https://www.deepview-eu.org/  verfügbar.

ProjektmitarbeiterInnen: Mag.a Dr.in Bettina Haidinger, Mag.a Dr.in Ulrike Paposchek, Mag. Bernhard Saupe
Ansprechperson: Mag.ᵃ Dr.ⁱⁿ Bettina Haidinger